Um den sozial-ökologischen Wandel zu schaffen, brauchen wir vor allem ein neues WIR-Gefühl: Eine Gemeinschaft, in der es auf Basis von Wertschätzung, Vertrauen und Ermutigung bedingungslos jedem Menschen ermöglicht wird, die Welt, in der wir leben mitzugestalten. Doch in den Personalabteilungen werden Menschen in erster Linie aussortiert statt eingeladen. Die Lösung erscheint einfach und doch so fern – Schluss mit Bewerbungsprozessen, die Menschen ausgrenzen und stattdessen einfach ALLE einladen.
Artikel 23 der Menschenrechte besagt sogar „Jeder hat das Recht auf Arbeit“. Ich arbeite gemeinsam mit jungen Menschen, die zum Teil daran nicht glauben können. Auf die Frage „Was wollt ihr später gerne einmal machen?“ antworten manche Schüler
„Ist doch egal – wir sind Hauptschüler, wir sind dumm und werden doch sowieso Hartz4-Empfänger“.
Als die Flüchtlingswelle nach Deutschland kam, sagte einer meiner Teilnehmer:
„Warum regt ihr euch so über Flüchtlinge auf? Jetzt sind wir wenigstens nicht mehr ganz unten.“
Ich habe mich gefragt, wie so junge Menschen, solche Gedanken haben können? Hauptschulen werden in aller Öffentlichkeit als Resteschulen benannt und Namen wie Kevin und Chantalle als Unterschichten-Namen abgestempelt. Schüler hören und lesen das – ALLES! Wie muss das auf einen jungen Menschen wirken, der tatsächlich auf eine Hauptschule geht und Kevin oder Chantalle heißt?
Für diese jungen Menschen macht lernen, wünschen und bewerben keinen Sinn, denn sie haben weder Vertrauen noch Hoffnung, dass etwas davon in Erfüllung geht.
Das ist eine niederschmetternde Erkenntnis, die mich zutiefst erschüttert hat und ein trauriges Resultat unserer Leistungsgesellschaft. Neben diesen sehr ernüchternden Erkenntnissen habe ich aber auch erfahren dürfen, was passiert, wenn man Menschen bedingungslose Wertschätzung zeigt und sie dazu ermutigt, ihren Gedanken und Ideen zu vertrauen: Sie beginnen sich zu beteiligen, mit dem was sie wissen und können. So habe ich erlebt, dass meine Jugendlichen Kurzgeschichten, Bücher, sozial-kritische Songs und Gedichte schreiben, Kunstwerke malen und Projektideen für mobile Wohnungen für Obdachlose entwickeln. Alle waren spürbar beeindruckt und voller positiver Energie. Diese Momente gehören zu den schönsten meiner Arbeit!!!
Dank meiner Jungs & Mädels habe ich daraus etwas Entscheidendes gelernt, wofür ich ihnen unendlich dankbar bin: Jeder Mensch hat unerschöpfliches Potenzial und die Fähigkeit mit anderen Lebewesen Beziehungen einzugehen, sich um diese zu kümmern und sich in diese einzufühlen – egal ob mit Menschen, Tieren, Pflanzen oder dem Planeten Erde als Ganzes. Jeder Mensch ist damit unendlich wertvoll, egal welche Lebensgeschichte, welche Noten, oder welche Herkunft er mitbringt.
Indem wir uns im Arbeitsalltag jedoch gegenseitig permanent messen, bewerten, beweisen, präsentieren, sortieren und letztendlich auch selektieren und ausschließen, entsteht in der Gesellschaft Druck und Angst den Job zu verlieren, Frustration, weil viele aus Angst in einem Job bleiben, obwohl sie darin keinen Sinn sehen und im schlimmsten Fall Gleichgültigkeit, weil sie keine Hoffnung haben, etwas verändern zu können. Das Potenzial, das in den Träumen, Gedanken und Ideen all dieser Menschen liegt, bleibt somit zu einem großen Teil ungenutzt.
Um den sozial-ökologischen Wandel auf unserem Planeten zu schaffen, müssen wir dafür sorgen, dass sich in unserer Gesellschaft ALLE angenommen und getragen fühlen.
Wenn wir wissen, dass wir immer und überall ein geschätztes Mitglied der Gesellschaft sind, ohne Angst davor haben zu müssen zu scheitern, sitzen zu bleiben, gekündigt zu werden oder arbeitslos zu sein, sind wir auch bereit, uns Herausforderungen zu stellen und etwas Neues zu wagen. Wer sich bedingungslos von einer Gesellschaft wertgeschätzt fühlt, setzt sich auch bedingungslos gerne und mit Freude für sie ein! Die Botschaft, die Gerald Hüther für Schüler formulierte, muss für alle Menschen lauten: „Du kannst etwas und wir mögen dich, wie du bist. Mit deinen Fähigkeiten und Begabungen bist du gemeinsam mit anderen in der Lage, etwas zu leisten, was keiner allein schaffen kann!“
Dafür benötigen wir nicht nur in der Schule sondern auch in der Personalkultur einen grundlegenden Wandel
Bewerbungsprozesse fördern die Wirtschaft und nicht die Menschen! In Bewerbungsprozessen geht es für die meisten Unternehmen in erster Linie darum, die scheinbar besten und passendsten Leistungsträger einer Gesellschaft zu identifizieren, um noch mehr monetäres Wachstum zu erzielen. Eigentlich sollte jedoch die Potenzialentfaltung eines jeden einzelnen Menschen im Fokus stehen. Begabungen und Talente in der Schule und im Beruf zu entwickeln und zu enfalten, sollte jedem Menschen ermöglicht werden – bedingungslos und ein Leben lang! Damit wir herausfinden, was alles in uns steckt, ist es wichtig, dass wir frei und ungezwungen unserer Intuition, unserer Neugierde und Begeisterung folgen. Warum machen wir es uns nicht leichter, neue Berufe auszuprobieren und Berufe zu wechseln – egal wie alt wir sind oder welche Erfahrungen wir mitbringen? Warum lässt man Menschen in Unternehmen nicht selbstorganisatorisch und partizipativ arbeiten? Warum machen wir es uns gegenseitig so schwer, nach einer längeren Arbeitspause wieder einzusteigen? Wer hat überhaupt das Recht darüber zu entscheiden, ob jemand für den Job geeignet ist oder ins Team passt? Jeder darf eine Schule besuchen – Warum darf nicht jeder in einem Unternehmen mitarbeiten, wenn er es möchte und sich zutraut? Warum Menschen in Bewerbungsprozessen ablehnen und ausschließen und stattdessen nicht ALLE zum gemeinsamen Lernen und Gestalten einladen?
Wir sind eine Gemeinschaft und es gibt alle Hände voll zu tun, GEMEINSAM die Welt zu einem besseren Ort FÜR ALLE zu machen.
Es gibt viele Initiativen und auch Unternehmen, die Menschen dabei unterstützen ihre Potenziale zu erkennen und zu entfalten und ihnen so eine berufliche Zukunft ermöglichen – das ist wichtig und unfassbar wertvoll!
Viele der Jugendlichen, mit denen ich zusammenarbeite, haben so ihre Chance und damit auch einen Ausbildungsplatz bekommen. Jedoch leben alle Einrichtungen und Sozialunternehmen auch davon, dass es überhaupt Menschen gibt, die in unserer Gesellschaft „ausgeschlossen“ werden. Viele Jugendliche sind sich dessen auch bewusst, und so gelingt es leider nicht allen, das als Chance wahrzunehmen und wertzuschätzen. Ich habe oft darüber nachgedacht und überlegt, warum sie zum Teil einen Ausbildungsplatz so leichtfertig wieder wegwerfen. Bis ich mir die Frage gestellt habe: Wofür sollten sie denn eigentlich konkret dankbar sein? Dafür, dass man „sogar“ ihnen die Möglichkeit gibt, eine Ausbildung machen zu dürfen? Dafür, dass Firmen derzeit große Nachwuchsprobleme haben und zum Teil aus lauter „Verzweiflung“ auch einen Hauptschüler mit schlechten Noten annehmen? Diese Jugendlichen glauben zum Teil nicht daran, dass sie aufgrund ihrer Fähigkeiten eine Chance bekommen haben und daher fühlen sie sich auch nicht wertgeschätzt und können somit auch keine besondere Wertschätzung für den Ausbildungsplatz empfinden.
Niemand sollte dankbar dafür sein müssen, dass er arbeiten darf oder eine Ausbildung machen darf. Unser Ziel sollte es sein, dass genau das selbstverständlich wird. Denn es ist ein Menschenrecht! Wir sollten stattdessen lernen, dankbar für unsere Talente und Gaben zu sein, die uns befähigen etwas zu lernen. Wir sollten lernen, dankbar für Erfahrungen und auch Schwächen zu sein und die Möglichkeit innerlich daran zu wachsen. Wir sollten dankbar für die Menschen sein, die uns beim Wachsen unterstützen, an uns glauben und uns ermutigen. Wir sollten lernen, dankbar dafür zu sein, dass wir gesund sind und arbeiten können und für das Leben, das uns geschenkt wurde!